Während dieser Zeit trat ein Mann namens Ludwig Geyer in das Leben der verwitweten Johanna und ihrer neun Kinder, ein Glücksfall in dieser so schwierigen Zeit. Geyer war Maler und Schauspieler, der bereits einige Jahre im Wagner-Haushalte gelebt hatte und die Leidenschaft Carls und Johannas für das Theater teilte. Er war demzufolge ein sehr enger Freund der Familie und viele hatten die Vermutung, dass er mehr als ein Freund für Johanna gewesen war und wahrscheinlich Wagners wirklicher Vater. Geyer war bei den Kindern sehr beliebt und es schien nur natürlich, dass er nach Carls Tod die Rolle des Vaters übernahm. Geyer und Johanna heirateten, zogen 1814 nach Dresden und ließen sich dort als Familie nieder. Obwohl der junge Richard kein bestimmtes Talent in irgendeiner besonderen Richtung an den Tag legte, war Geyer bestrebt, etwas aus ihm zu machen. Der junge Wagner hatte große Freude am Theater und auf Grund Geyers Beziehungen als Schauspieler bot sich ihm die Chance, das Theaterleben aus erster Hand zu erfahren. Es war eine aufregende Welt, die Wagner faszinierte – er beschrieb es so: “Es holt mich aus der Routine des Alltags.”
Geyer nannte den Jungen mit den stechend blauen Augen, reizbarem Temperament und einem Kopf, der viel zu groß für seinen kurzen Körper war, seinen “kleinen Kosaken”. Offenbar hatte der junge Richard eine solch lebhafte Vorstellungskraft, dass er unter Alpträumen litt und seine Schwestern weigerten sich bald, mit ihm im selben Raum zu schlafen, da er während des Schlafs häufig schrie. Im Hintergrund jedoch suchte Geyer verzweifelt nach der wahren Berufung des Jungen. Er versuchte sogar, ihm das Malen beizubringen, was jedoch zu nichts führte.
Ein interessanter Punkt jedoch ist, dass der achtjährige Wagner Geyer am Sterbebett besuchte und Johanna ihn in einen anderen Raum führte, wo ein Klavier stand. Sie bedeutete ihm zu spielen und den sterbenden Mann ein wenig zu unterhalten. Es wird berichtet, dass sich Geyer daraufhin in seinem Bett aufsetzte und ausrief: “Was, wenn sein Talent in der Musik liegt?”
Nach Geyers Tod begannen eine Vielzahl von Ortswechseln, die auch Wagners weiteres Leben stetig bestimmen sollten.
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